Germany Edition 2025 – Frankfurter Allgemeinen Zeitung

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© LUC BRAQUET

TIFFANY & CO. Bird on a Flying Tourbillon

Azure Blossom. Ein Haute Joaillerie-Schmuck-

stück, angetrieben von einem maßgeschneider-

ten Haute Horlogerie-Uhrwerk, einem Handauf-

zugskaliber mit Tourbillon, das von der Schweizer

Manufaktur Artime für Tiffany & Co. entwickelt

wurde. Das Tourbillon, das von einer diamantfa-

cettierten Saphirglaskuppel bedeckt ist, dient als

Sitzstange für einen mit 70 Diamanten besetzten

Kakadu, und die Uhrzeit wird auf einem Zifferblatt

mit 168 Diamanten angezeigt. Die lackierten Blu-

men sind auf zwei Ebenen über einem Champlevé-

Email-Dekor angeordnet, und die Szene befindet

sich in einem 36 mm großen Gehäuse aus Weißgold,

das mit 341 Diamanten besetzt ist. Mit den 143 Stei-

nen, die auf dem durch ein Saphirglas sichtbaren

Uhrwerk gefasst sind, und den 49 Steinen auf der

Schließe des Armbands kommt man auf insgesamt

771 Diamanten (mehr als 3,8 Karat), zu denen noch

der Solitär auf der Krone hinzukommt. Limitierte

Auflage von 10 Exemplaren.

T E C H

ie Idee, das Zifferblatt zu entfernen und die Platinen und Brücken des

Uhrwerks so weit wie möglich zu durchbrechen, entstand, wie so

oft in der Uhrmacherkunst, vor langer Zeit. Sie wird im Allgemeinen

André-Charles Caron zugeschrieben, dem Schwiegervater des weitaus berühm-

teren Jean-Antoine Lépine. Er wollte das revolutionäre Konzept des Uhrwerks

mit einer einzigen Platine seines Schwiegersohns hervorheben: Ohne Zifferblatt

könnten die Kunden die Präzision und Qualität des Uhrwerks besser würdi-

gen. Da jedoch die meisten Uhren dieser Zeit sehr günstige Uhrwerke hatten,

fand die Idee wenig Anklang und wurde erst zwei Jahrhunderte später in grö-

ßerem Umfang übernommen. In der Zwischenzeit gab es einige Beispiele für

Skelettuhren, aber fast immer, um etwas Neues zu präsentieren – insbeson-

dere bei Patek Philippe.

Die Erneuerung, die auf den Beginn der 1980er Jahre zurückgeht, war

eine Reaktion auf die Quarzkrise, ein Akt des Widerstands von Herstellern

wie Audemars Piguet und Blancpain, die etwas bieten wollten, was die

Quarztechnologie nicht leisten konnte. Allerdings galten Skelettuhren schon

damals als etwas altmodisch, als seltsame Ausdrucksformen der traditionellen

Uhrmacherkunst mit zu vielen Details. Die Ästhetik der fein verzierten Brücken

war zu barock und entsprach nicht dem Minimalismus, der im Uhrendesign

der 1980er Jahre vorherrschte – vergleichen Sie eine Skelettuhr von Audemars

Piguet aus dem Jahr 1985 mit der Braun AW10 aus derselben Zeit.

Auch wenn die Skelettuhren der 1980er Jahre den Zeitgeist nicht einfan-

gen konnten, wurde das Konzept im Laufe des folgenden Jahrzehnts für eine

Handvoll kleiner Hersteller, die die damals sehr ungewisse Zukunft der mechani-

schen Uhrmacherkunst sichern wollten, zum Synonym für hohe Wertigkeit. Der

bekannteste unter ihnen war der Münchner Uhrmacher Gerd-Rüdiger Lang, der

1983 Chronoswiss gründete. Der Autor eines Buches über Chronographen war

ein Visionär, der damals radikale Konzepte wie transparente Gehäuseböden auf

den Markt brachte. Er konzentrierte sich auf das Benutzererlebnis und begeis-

terte mit dem reichhaltigen uhrmacherischen Inhalt seiner Uhren eine wach-

sende Zahl von Sammlern, sei es mit raffinierten Uhrwerken (darunter ein welt-

weit einzigartiger Automatik-Chronograph) oder mit Designs wie dem Modell

Régulateur, das die getrennte Anzeige von Stunden, Minuten und Sekunden der

Mutteruhren in Observatorien aufgriff. Beim automatischen Chronographen

Opus von 1995 war das Skelett besonders schlicht, ohne übermäßige Gravuren

und Verzierungen, auch wenn es aufgrund der Komplexität des Uhrwerks, der

verschiedenfarbigen Metalle und der Perlierung auf den Resten der Platinen und

Brücken eher überladen wirkte. Trotz allem zeigte die Uhr einen technischen

Charakter, der zukünftigen Designern als Vorbild dienen sollte.

Skelettuhren sind ein Phänomen

des 21. Jahrhunderts und

zelebrieren die Mechanik durch eine

Vielzahl von Inszenierungen und

individuellen Interpretationen, die

sich deutlich von den Skelettuhren

alter Schule unterscheiden.

Von James Gurney

TECH

Nackte Mechanik

„Es gibt keinen Zufall in der Kunst,

genausowenig wie in der Mechanik“

Charles Baudelaire (1821-1867)