| WATCH YOUR TIME
67
© LUC BRAQUET
TIFFANY & CO. Bird on a Flying Tourbillon
Azure Blossom. Ein Haute Joaillerie-Schmuck-
stück, angetrieben von einem maßgeschneider-
ten Haute Horlogerie-Uhrwerk, einem Handauf-
zugskaliber mit Tourbillon, das von der Schweizer
Manufaktur Artime für Tiffany & Co. entwickelt
wurde. Das Tourbillon, das von einer diamantfa-
cettierten Saphirglaskuppel bedeckt ist, dient als
Sitzstange für einen mit 70 Diamanten besetzten
Kakadu, und die Uhrzeit wird auf einem Zifferblatt
mit 168 Diamanten angezeigt. Die lackierten Blu-
men sind auf zwei Ebenen über einem Champlevé-
Email-Dekor angeordnet, und die Szene befindet
sich in einem 36 mm großen Gehäuse aus Weißgold,
das mit 341 Diamanten besetzt ist. Mit den 143 Stei-
nen, die auf dem durch ein Saphirglas sichtbaren
Uhrwerk gefasst sind, und den 49 Steinen auf der
Schließe des Armbands kommt man auf insgesamt
771 Diamanten (mehr als 3,8 Karat), zu denen noch
der Solitär auf der Krone hinzukommt. Limitierte
Auflage von 10 Exemplaren.
T E C H
ie Idee, das Zifferblatt zu entfernen und die Platinen und Brücken des
Uhrwerks so weit wie möglich zu durchbrechen, entstand, wie so
oft in der Uhrmacherkunst, vor langer Zeit. Sie wird im Allgemeinen
André-Charles Caron zugeschrieben, dem Schwiegervater des weitaus berühm-
teren Jean-Antoine Lépine. Er wollte das revolutionäre Konzept des Uhrwerks
mit einer einzigen Platine seines Schwiegersohns hervorheben: Ohne Zifferblatt
könnten die Kunden die Präzision und Qualität des Uhrwerks besser würdi-
gen. Da jedoch die meisten Uhren dieser Zeit sehr günstige Uhrwerke hatten,
fand die Idee wenig Anklang und wurde erst zwei Jahrhunderte später in grö-
ßerem Umfang übernommen. In der Zwischenzeit gab es einige Beispiele für
Skelettuhren, aber fast immer, um etwas Neues zu präsentieren – insbeson-
dere bei Patek Philippe.
Die Erneuerung, die auf den Beginn der 1980er Jahre zurückgeht, war
eine Reaktion auf die Quarzkrise, ein Akt des Widerstands von Herstellern
wie Audemars Piguet und Blancpain, die etwas bieten wollten, was die
Quarztechnologie nicht leisten konnte. Allerdings galten Skelettuhren schon
damals als etwas altmodisch, als seltsame Ausdrucksformen der traditionellen
Uhrmacherkunst mit zu vielen Details. Die Ästhetik der fein verzierten Brücken
war zu barock und entsprach nicht dem Minimalismus, der im Uhrendesign
der 1980er Jahre vorherrschte – vergleichen Sie eine Skelettuhr von Audemars
Piguet aus dem Jahr 1985 mit der Braun AW10 aus derselben Zeit.
Auch wenn die Skelettuhren der 1980er Jahre den Zeitgeist nicht einfan-
gen konnten, wurde das Konzept im Laufe des folgenden Jahrzehnts für eine
Handvoll kleiner Hersteller, die die damals sehr ungewisse Zukunft der mechani-
schen Uhrmacherkunst sichern wollten, zum Synonym für hohe Wertigkeit. Der
bekannteste unter ihnen war der Münchner Uhrmacher Gerd-Rüdiger Lang, der
1983 Chronoswiss gründete. Der Autor eines Buches über Chronographen war
ein Visionär, der damals radikale Konzepte wie transparente Gehäuseböden auf
den Markt brachte. Er konzentrierte sich auf das Benutzererlebnis und begeis-
terte mit dem reichhaltigen uhrmacherischen Inhalt seiner Uhren eine wach-
sende Zahl von Sammlern, sei es mit raffinierten Uhrwerken (darunter ein welt-
weit einzigartiger Automatik-Chronograph) oder mit Designs wie dem Modell
Régulateur, das die getrennte Anzeige von Stunden, Minuten und Sekunden der
Mutteruhren in Observatorien aufgriff. Beim automatischen Chronographen
Opus von 1995 war das Skelett besonders schlicht, ohne übermäßige Gravuren
und Verzierungen, auch wenn es aufgrund der Komplexität des Uhrwerks, der
verschiedenfarbigen Metalle und der Perlierung auf den Resten der Platinen und
Brücken eher überladen wirkte. Trotz allem zeigte die Uhr einen technischen
Charakter, der zukünftigen Designern als Vorbild dienen sollte.
→
Skelettuhren sind ein Phänomen
des 21. Jahrhunderts und
zelebrieren die Mechanik durch eine
Vielzahl von Inszenierungen und
individuellen Interpretationen, die
sich deutlich von den Skelettuhren
alter Schule unterscheiden.
Von James Gurney
TECH
Nackte Mechanik
„Es gibt keinen Zufall in der Kunst,
genausowenig wie in der Mechanik“
Charles Baudelaire (1821-1867)